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Wir Profis

Audio: Diesen Artikel habe ich für euch vorgelesen. Ihr seht den Link unten.

Alles um uns herum scheint irgendwie professioneller geworden zu sein. Die Stimmen in der Werbung, die Schauspieler in den Serien, die aufwendig produzierten Songs: Perfektion ist das neue Normal. Wir haben auch unseren Alltag professionalisiert: wir kommunizieren digital optimiert mit What‘s App & Co. Wir vergleichen Preise im Internet.

Die Songs, die wir gewöhnlich im Radio hören sind durch eine Produktionsmaschine gegangen, die jeden Bestandteil kontrolliert und optimiert. Die Digitalisierung macht es möglich. Es kommt etwas dabei heraus, das vor allem Konsumartikel ist. Mein sechsjähriger Sohn ist stolzer Besitzer eines eigenen Radios. Einmal, als er laut Radio Energy hörte, geriet ich regelrecht in Panik. Es war einer dieser unfassbar stumpfsinnigen RnB-Songs­­, in denen ein zurückgewiesener Lover mit computergenormter Stimme in immer gleicher hoher Tonlage weinerlich seine Liebe beschwört. Da zuzuhören ist für mich wie Styropor essen. Alles an dieser Musik erscheint mir steril. Da ist kein kreativer Impuls mehr hörbar. Emotionalität als standardisierter Produktbestandteil. Ich glaube nicht, dass mir diese Musik so fremd ist, weil die Zielgruppe eine andere Generation ist. Ich fühle ein ähnliches Befremden in einer Wohnung in der es nur Plastikblumen gibt. Ich höre kaum Menschen einfach so aus Freude singen. Wenn, dann im Chor. Vielleicht hört sich der eigene Gesang nicht optimiert genug an. Er ist nicht Produkt. Manchmal denke ich, wir können den Sound des Lebens nicht mehr wertschätzen. Der wurde ja nicht aufwändig produziert.

Merkwürdigerweise denke ich bei Professionalität an die Stimme aus der Krombacher Werbung. Da passt alles. Eine Stimme wie Lagerfeuer mit perfekt dosierter Männlichkeit. An den richtigen Stellen ein leicht karamellisiertes Timbre. Das funktioniert. Trotzdem und gerade deswegen finde ich es widerlich. So wie eine Sahnetorte, die nach Bratwurst schmeckt. Eine professionelle Stimme muss glaubwürdig vermitteln, dass sie ganz im Einklang ist mit dem was sie spricht. Gleichzeitig ist es Teil der Professionalität, dass es völlig egal ist ob das auch stimmt.

Als Grafik-Designer habe ich mal Gesichter professionell retuschiert. Hier noch ein bisschen mehr Zahnweiß, da ein Pickel mit 75% überdecken, die Mundwinkel eine Nuance nach oben verschieben. Nicht zuviel, man will ja nicht, dass die Illusion als solche auffliegt. Obwohl, eigentlich weiß ja jeder, dass er manipuliert wird. Es ist nur gegen die Spielregeln, wenn man darauf gestoßen wird. Ich weiß noch, wie mir diese Retusche jedes Leben aus den Knochen gesogen hat. Ich wurde regelrecht krank davon. Überall in der Werbung sehe ich aufwändige Inszenierungen von Authentizität, Natürlichkeit und menschlicher Nähe. Aber der Kontext ihrer Entstehung ist das Gegenteil, nämlich kalte Berechnung. Absichtslose Leichtigkeit wird mit planendem Kalkül suggeriert. Die Ökonomie greift mit ihren schleimigen Fingern immer subtiler in unsere Seelen und erschleicht sich Vorteile. Die meisten scheinen sich damit abgefunden zu haben.

Gefühle und Stimmungen sind ja ihrem Wesen nach nichts Konstruiertes, sondern etwas Organisches. Sie sind Teil unseres Naturseins. Und das rückt für mich immer mehr in den Hintergrund. Wie das Nichts in der Unendlichen Geschichte scheint sich eine öde Sterilität auszubreiten. Sogar die Landschaft sieht immer mehr aus wie Betriebsgelände, wie ein Produkt. „Das Leben hat Schamhaare“ hat Charlotte Roche mal gesagt. Ein tolles Bild. Unsere Würde begründet sich auch oder vor allem im Unansehnlichen, im Getriebenen, im Unaufgeräumen.

 

Vor einigen Jahren hatte ich ein Soloprogramm für die Bühne entwickelt und bin auch aufgetreten. Mir war bewusst, dass das nicht professionell war. Wie denn auch? Ich hatte keine Ahnung und folgte nur einem inneren Auftrag. Ich war bereit mich zu blamieren. Nach einer Aufführung sagte mir ein mit der Theaterszene vertrauter Freund: „Matthias, man hat gesehen, dass du dich anstrengst. Man sieht wie du schwitzt“. Aber warum muss ich eigentlich kaschieren, dass ich ein Mensch bin? Warum um Himmels Willen soll man mich denn nicht schwitzen sehen? Ich bin damals weiß geschminkt auf der Bühne herum gesprungen und habe sehr sonderbare Stücke aufgeführt. Hätte ich versucht, das dem anzupassen was gerade als professionell gilt, wäre es verkümmert. Heute schreibe ich Lieder. Wieder unprofessionell. Klar versuche ich meine Lieder so zu schreiben, dass man sie gerne hört. Das ist auch wichtig. Aber in erster Linie möchte ich etwas transportieren, das mir am Herzen liegt. Erst an zweiter Stelle kommt die Verpackung. Was viele übrigens nicht wissen: es gibt in Deutschland eine große Szene von Liedermachern. Die kommen allerdings aus ihrer Nische kaum raus, weil sie Musik nicht als Konsumartikel denken.

Ich erlebe heute eine regelrechte Abwehr gegen alles Zarte, Ungereifte, Unausgegorene. In den Comedyshows wird bloßgestellt und abgewertet, was irgendwie aus der Rolle fällt. Nicht nur bei Politikern wird jede menschliche Schwäche erbarmungslos vorgeführt. Wer lacht hat recht. Sei professionell oder schäm dich. Und die professionelle Distanz wird ja auch gegenüber dem eigenen Leben gepflegt. In zahllosen Ratgebern und Coachings wird versucht, das Leben als Projekt zu begreifen. Selbstoptimierung eben. Ich könnte noch ewig weitermachen und z.B. über die Selbstdarstellungen in den Sozialen Medien schimpfen. Stattdessen möchte ich Mut machen zu der eigenen Urwüchsigkeit zu stehen. Ein liebevoller, nicht bewertender Blick auf das Beschädigte, das Zarte und Irrationale bei sich selbst und anderen. Professionelles Leben ist Zeitverschwendung. Und vor allem: niemand hat die Kompetenz zu sagen, wann ein Leben gelungen ist und wann nicht. Erst recht nicht bei sich selbst. Die Realität ist mystisch, groß und ungeduscht. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Andreas Weber (Freitag, 01 April 2022 15:19)

    Der Text spricht mich an und spiegelt auch eigene Gedankengänge wider. Hier noch ein paar Überlegungen dazu : "die Ökonomie greift mit ihren schleimigen Fingern immer subtiler in unsere Seelen" - hört sich so an, wie wenn "die Ökonomie" ein feindliches Gegenüber ist, das entsprechend agiert. Was aber ist, wenn viele Menschen die ökonomischen Abläufe und Prozesse so in Ordnung und gut finden. Dann ist die Ökonomie kein schleimiges, feindliches Alien, sondern unsere Kreation, und der Glaube an den technischen, wirtschaftlichen Fortschritt und an die professionelle Machbarkeit von allem ist unsere Vision vom glücklichen Leben. Natürlich ist diese Vision trügerisch, die Warnzeichen häufen sich. Das wird auch mir so langsam klar. Aber: ich arbeite ja in diesem "System", ärgere mich immer wieder darüber und bin eben auch Nutznießer, verdiene mein Geld bei Industrie und Wirtschaft, damit ich es im eigenen Heim gemütlich habe und mir ein Auto und Urlaube leisten kann. Ich bin kein Beobachter von aussen, sondern mittendrin. Aus dieser Ambivalenz komme ich nicht raus. Ich habe auch kein anderes "System" in der Tasche, nach dem Motto "eigentlich müsste alles ganz anders laufen".
    Ansonsten wünsche ich dem Autor weiterhin Mut zur "Unprofessionalität". Menschen die sich verletzlich und unvollkommen zeigen bringen Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit in die Welt und das brauchen wir mehr denn je.