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Don't look up - die inszenierte Welt

Vor Kurzem sah ich den Film „Don‘t look up“, ein ungewöhnlicher Katastrophenfilm. In der großartigen Satire rast ein Meteor auf die Erde zu. Entdeckt hat ihn eine junge Doktorandin. Zusammen mit ihrem Professor (Leonardo di Caprio) fährt sie nach Washington um die Präsidentin (Meril Streep) von der drohenden Zerstörung der Erde zu unterrichten. Zu ihrem Entsetzen scheint die US-Regierung gerade wichtigeres zu tun zu haben als den Untergang der Menschheit abzuwenden. Da ist zum Beispiel die Zwischenwahl. Ein Meteor kommt einfach nicht gelegen. Und überhaupt klingt die Sache mit dem Weltuntergang etwas zu humorlos. Ausgerechnet in einer Talkshow wird die schreckliche Wahrheit verkündet – und verblasst völlig gegenüber dem hysterischen Liebesgeständnis eines it-Girls. Als der Doktorandin der Kragen platzt und sie in die Kamera schreit „Leute, ihr werdet sterben“ sind sich alle einig: Das war uncool.


Der Film ist eine wunderbare Persiflage auf unseren Umgang mit dem Klimawandel. Auch die Verkünder dieser existentiellen Bedrohung der Menschheit wurden lange Zeit als Spaßbremsen abgetan. Man hatte in den letzten 30 Jahren wichtigeres zu tun, als die Überhitzung des Planeten abzuwenden. Der Meteor wird erst dann als Bedrohung wahrgenommen, als er für alle sichtbar am Himmel steht. Und auf den Klimawandel reagieren wir auch erst ernsthaft, wenn der Wald vor unserer Nase brennt. Ein Höhepunkt des Films: die Rakete, die den Meteor auseinander sprengen sollte, kehrt wieder um. Nicht wegen eines Fehlers, sondern weil festgestellt wurde, dass der Himmelskörper unvorstellbare Mengen an wertvollen Bodenschätzen besitzt. Wow. Es gibt doch kein Problem, dass nicht geeignet wäre, das Wirtschaftssystem noch mehr anzufeuern.


Mich interessiert hier aber etwas anderes: „Don‘t look up“ zeigt eine Gesellschaft, die so sehr von Inszenierung geprägt ist, dass sie den Bezug zur Realität verloren hat. Kommunikation gilt vor allem als ein Werkzeug, um den persönlichen Status zu erhöhen. Die gesamte Gesellschaft scheint in einer Art Dauerwerbesendung gefangen zu sein. Und das kommt mir bekannt vor. Auch wir werden immer mehr von medialen Inszenierungen umworben. Manchmal denke ich, die Realität selbst ist nur noch ein Programmplatz und kann bei Bedarf mühelos abgewählt werden. Realität kann ja auch ziemlich lästig sein. Eine ewige to-do-Liste, Abarbeiten von Alltags- und Berufsroutine. Das ist überhaupt nicht episch, kein vernünftiger Regisseur würde sich so etwas ausdenken. Da schlurfen wir also mit unseren eher durchschnittlichen Körpern durch einen farblosen Alltag, das meiste läuft überraschungsfrei nach Plan und wenn wir nicht gestorben sind schlurfen wir noch heute. Aber warum auch selbst erleben? Was uns fehlt, können wir uns doch einfach aufspielen. Direkt ins Großhirn. Aus einer riesigen Auswahl können wir die passende Gegenwelt heraussuchen. Dopamin-Kick inklusive. Nachhaltig für den Seelenhaushalt ist das nicht, aber es hält uns bei Laune. Aufgestaute Wut im Betrieb? Wie wäre es mit einem feurigen Weltuntergang auf Netflix? Wieder nur muffige Kunden? Da passt doch der Psychopath mit dem Schlachtermesser gut.

Ich bin immer wieder beeindruckt, wie täuschend echt die Serien auf den Streaming-Plattformen das Lebendige simulieren. Genauso in der Werbung. Überall werden uns scheinbar Werte vermittelt. Authentizität. Idyllische Natur. Das was uns fehlt, wonach wir uns sehnen, wird uns mit großer Präzision in die Köpfe verfrachtet. Kleine bunte Lügen in Schreibschrift, überall. Lauter Plastikblumen. Und dann die Inszenierung in den sozialen Netzwerken. Wie ein Platzregen prasseln fantastische Naturaufnahmen, niedliche Tierkinder und süßliche Weisheiten auf uns ein. Dazu jede Menge Leute, die immer das richtige tun und sagen und dabei nie vergessen, gut auszusehen. Unser Gehirn wird permanent mit Input beschossen, der wie ein Porno darauf angelegt ist, uns maximal zu stimulieren.

 

Wie fade ist da der Blick aus dem eigenen Fenster. Und wie langweilig erscheinen wir uns doch selbst. In so einer inszenierten Welt kann ein ungeschminktes Thema wie Klimawandel schon mal untergehen. Vielleicht ist das ein Grund wie unaufgeregt viele Menschen damit umgehen. Die wenigsten scheinen existentiell beunruhigt zu sein. Es arbeiten ja auch zahllose Dienstleister daran, die eigene Weltflucht dekorativ auszukleiden. Und wenn es nur die Landliebe-Zeitschrift ist. Fake news sind dann noch einmal ein Thema für sich. Soziale Medien können nicht nur von der Realität ablenken, sie können auch einfach eine neue anbieten.


Kritik an der Moderne steht ja schnell im Ruf, nostalgisch, romantisch-naiv oder sogar spießig zu sein. Und ich bin ja auch tatsächlich von gestern, schließlich werde ich bald 50. Trotzdem ziehe ich mir diesen Schuh nicht an. Ich finde es wichtig, dass wir wieder die Hoheit über unser Gehirntheater bekommen. Es ist völlig ok, sich in Hosen und T-Shirts von gewinnmaximierenden Unternehmen zu kleiden. Das was mich persönlich bewegt, möchte ich aber nicht von ihnen bestimmen lassen. Und sie sollen auch keine fertigen Bausteine für mein Weltbild liefern. Diesen Text habe ich unterbrochen, weil ich joggen war. Es war nass, es war kalt, es war dunkel. Großartig. Nichts was mich von der Welt abschirmt. Ich habe mich herrlich analog gefühlt. Aber eine Überwindung war es doch. Bei aller Notwendigkeit der Digitalisierung vergessen wir schnell, wie wichtig es ist, das Leben pur zu spüren. Nicht im Achtsamkeitsseminar. Nicht als Event. Nein, einfach so. Miteinander lachen, weinen, einen Berg besteigen, Gemüse ernten, naja und auch Schokolade essen. Zurück zu „Don‘t look up“. Da findet der Professor, nachdem er sich von den Eitelkeiten einer aufgedrehten Medienwelt verführen ließ, wieder zurück in seine „echte“ Welt, seine Familie, sein Zuhause. Die Welt geht trotzdem unter.
Ist ja nur ein Film.

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