Lassen Sie doch mal ihr Auto stehen, es muss doch nicht immer Fleisch sein, weniger ist mehr. Hüstel, Gähn, Themawechsel. Verzicht ist unsexy. Außerdem bleibt es ja doch immer bei Appellen, die zunehmend nerven. Oder? Trotzdem sagt gefühlt jeder dritte Kalenderspruch, dass es gut tut, sich aufs Wesentliche zu beschränken. Und die meisten von uns glauben das ja auch irgendwie theoretisch. Ich habe eine Idee, warum Verzicht so schwer fällt. Wir verwechseln das, worauf wir verzichten, mit dem Bedürfnis das es uns erfüllt. Bei Kindern durchschauen wir das schnell, nicht aber bei uns. Einmal kam mein Sohn zu mir und war ganz aufgelöst, weil er sein geliebtes Kuscheltier nicht dabei hatte. Ein zunächst existentieller Verlust. Ohne dieses Kuscheltier machte das Leben einfach keinen Sinn mehr. Ich habe dann aus zwei großen Ofenhandschuhen ein neues Kuscheltier gebaut. Und nach einer kurzen Aufwärmphase galt all seine Liebe dem neuen Freund. Wir lächeln dabei und sind gerührt, weil das Kind sein Gefühl liebevoller Verbundenheit so sehr an dieses eine Spielzeug bindet. Ich behaupte jetzt mal, dass der Stellenwert vieler lieb gewonnener Dinge, z.B. des Autos in unserer Gesellschaft zu einem großen Teil auf einer ähnlichen Bindung beruht.
Aber alles der Reihe nach. Ich habe kein Auto und fahre ein Lastenrad. Ich mache das nicht primär aus ökologischen Beweggründen und nein, es gibt keinen Grund mich dafür zu bewundern. Ich bin
einfach kein Automensch. Während mein Bruder als Kind brumm-brumm Matchboxautos vor sich herschob, interessierte mich immer nur die Eisenbahn. Mit neun Jahren konnte ich es nicht fassen, als
meine Oma sagte, dass sie lieber mit dem Auto als mit dem Zug fährt. Irgendwann konnte ich alle Streckennummern des Bundesbahn-Kursbuchs von Norddeutschland auswendig. Später
habe ich trotzdem einen Führerschein gemacht. Ein Auto gehörte halt dazu. Aber ich war immer froh, wenn ich wieder aussteigen konnte. Ich hatte nie ein eigenes Auto und ich habe es keinen
Augenblick vermisst.
Meistens mag ich das Fahren im Bus oder im Zug. Wenn ich Freunde treffe, dann ist es wunderschön, danach in den Sitz der S-Bahn zu plumpsen. Ich bin in Bewegung und kann mich trotzdem fallen lassen. So kann ich In Ruhe die Begegnungen nachwirken lassen. Ich habe mein Herz nie an das Autofahren gebunden und deswegen kann ich sachlich sagen: Ich brauche es nicht. Und da mein Leben nicht so ungewöhnlich ist, vermute ich mal, dass ein Großteil der Autos in unserem Land eigentlich schon jetzt unnötig sind (mir ist natürlich bewusst, dass viele (noch) auf ein Auto angewiesen sind). Mit autonomem Fahren und intelligenter digitaler Steuerung könnte das individuelle Auto tatsächlich bald ganz überflüssig sein. Bei Bedarf lässt man dann einfach ein Fahrzeug kommen. Trotzdem scheint es heute noch selbstverständlich zu sein, ein Auto zu besitzen, irgendwie gehört es zum ganzen Menschen dazu. Das wird auch in der ökologischen Debatte erstaunlich wenig infrage gestellt.
Viele verbinden mit dem eigenen Auto Freiheit. Klar, ein Auto bringt mich ja genau dahin wo ich es möchte. Ich muss vorher nicht planen, ich kann die Route selbst bestimmen und so weiter. Wie ist das mit der Freiheit? Waren die Menschen vor Erfindung des Automobils deswegen weniger frei? Und wären wir freier, wenn jeder von uns einen Raketenrucksack besitzen würde? Wäre dann die Freiheit, individuell durch die Wolken zu düsen auch so etwas wie ein Grundrecht? „Lassen Sie doch mal ihren Düsenrucksack im Schrank...“
Ich glaube, dass das Bedürfnis „Freiheit“ genauso vom eigenen Auto entkoppelt werden kann wie die Liebe meines Sohnes von diesem einen Stofftier. Ein Mensch ohne Auto kann sich haargenau so zu
persönlicher Freiheit entwickeln wie mit. Aber ein Auto bedeutet für viele nicht nur Freiheit. Es ist auch Teil der Identität, ein Schutzraum, ein erweitertes ich, vielleicht eine Art Freund.
Wir binden unser Herz an Dinge. Das ist menschlich und auch gut, schließlich beseelen wir so die Welt. Nur, wenn diese Dinge verloren gehen, dann tut es weh. Wir
verwechseln dabei das Bedürfnis mit dem Ding an sich. Wir empfinden einen dauerhaften Verlust. Aber das ist eine Illusion. Wir werden uns neu sortieren, auf die Suche gehen und uns an andere
Dinge (oder Ideen oder Menschen) binden. So wie mein Sohn ein neues Kuscheltier gefunden hat. Wenn irgendwann unsere Städte nicht mehr mit Autos zugestellt sind, wenn es mehr Grün und mehr
Sicherheit gibt, dann (da bin ich mir sicher) werden die meisten sagen „Eigentlich ist es viel schöner so“.
Echte Freiheit und Unabhängigkeit würde es bedeuten, wenn wir lernen, unsere Bedürfnisse von den Dingen, die sie zufällig gerade befriedigen zu unterscheiden. Es würde sich lohnen, das zu einem
zentralen Bildungsziel zu machen. Dummerweise beruht unser Wirtschaftssystem darauf, dass wir uns zwanghaft an Dinge (oder Geld) binden, Wir verlagern sogar unsere sozialen Bedürfnisse auf sie.
Und weil das vor allem eine Illusion ist, brauchen wir immer mehr. Schauen Sie sich mal all die leeren Gesichter an, morgens in den Städten. Liegt es vielleicht daran, dass wir
atemlos Platzhaltern für das Eigentliche hinterher jagen und uns selbst dabei verlieren? Mich ärgert immer diese Werbung, die menschliche Wärme in rührenden Bildern zeigt und dann mit einem
Produkt oder Unternehmen verbindet. Konsum als Platzhalter für den Zauber des Zwischenmenschlichen? Menschen, die ihre eigentlichen Bedürfnisse kennen, sind wahrscheinlich schlechte Konsumenten.
Aber sie sind die eigentlich Reichen. Naja, mit dem Wirtschaftswachstum wird es dann natürlich schwierig. Halleluja.
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